Im Fortgeschrittenen-Tanzkurs. Eine milde Satire in Hexametern


 

Isabell Edvardsson + Dirk Schindelbeck (letzterer beim Versuch, fortzuschreiten)

Sie: Hilf mir doch mal aus dem Mantel! Nun mach schon, du siehst doch, die andern

sind längst drinnen im Saal. Warum sind wir immer die letzten? –

Weil du nie fertig wirst! – Und die Schuhe, wo hast du die Schuhe?

Er: Draußen im Beutel am Haken.

Sie:                                                                Großer Gott, bring sie doch hierher!

(für sich): Dieser Mann ist mein Grab, mein zwanzigjahrlanges Trauma.

Er: Hier, da sind sie.

Sie:                                         Mein Fächer?

Er:                                                                              Hier!

Sie:                                                                                        Wenigstens diesmal.

Tanzlehrer: Meine Damen und Herren. Der letzte Abend! Was lernen

wir in dieser Stunde? Den Jive, den Quick-Step, die Rumba,

und am Ende, als Wiederholung, den langsamen Walzer!

Er (für sich): Teufel. Vierfach geschlagen. Jetzt durchgehalten, zum letzten!

Sie: Sieh mal da drüben die Frau in hellgrün. Die guckte mich letzte

Woche schon seltsam schnippisch an, als wollte sie sagen:

Mit ihrem Mann, da haben sie wohl diverse Probleme.

Schau nur, wie diese Schnepfe sich anmalt: die Lippen, die Brauen –

Gott, wie ordinär. Und die riesigen Absätze.

Er:                                                                             Wer denn?

Sie: Still doch, hör zu, der Tanzlehrer spricht! Sonst lernen wir nie was.

Tanzlehrer: Wir beginnen mit Jive. Auch heute an meiner Seite

wie schon beim letzten Mal Janine, bezaubernd wie immer.

Auf geht es spritzig: Eins, zwei, Wechselschritt, Wechselschritt, locker

ausdrehn und eindrehn, Spirale der Dame. Wir Herren, wir haben

eigentlich gar nichts zu tun, nur Grundschritt, wir könnten fast schlafen.

Sie: Siehst du, wie leicht du’s wieder hast! Was soll das Gejammer?

Wie war das? Sag doch! Eindrehn? Ausdrehn? Was machst du für Schritte?

Merkst du’s nicht, Du bist außer Takt! Du trippelst, du hoppelst:

So komm ich nie um dich herum. Deine Arme, die sind auch

viel zu kurz, wie schaffen das eigentlich alle die andern?

Tanzlehrer: Noch mal für alle: Wechselschritt, Wechselschritt – dann die Spirale.

Sie: Sieh nur, wie elegant sie das zeigen, als könnten sie fliegen –

Ach, nur einmal im Leben mit einem so göttlichen Tänzer!

Er: Dieser Hänfling? Das Männchen wiegt doch gerade mal fünfzig

Kilo, und ich dagegen fast neunzig. Wie könnte ich fliegen?

Sie: Zugelegt hast du massiv, man sieht es. Ich möchte gern wissen,

was du so isst und wieviel, im Büro. Du sagst mir ja nie was,

und geübt in der letzten Woche haben wir auch nicht:

Keine Minute hattest du Zeit für die neuen Figuren.

Er: Montag, Mittwoch und Freitag war Fußball, Skat war am Dienstag,

Donnerstag Abend war ich zu müde vom Fußball am Mittwoch.

Sie: Typisch…

Tanzlehrer: Also, am Jive lässt sich hier und da noch verbessern,

aber der Ansatz ist gut – bei den meisten Paaren zumindest.

Sie: Hörst du, auf wen die Kritik zielt? Aber wie taktvoll er’s ausdrückt!

Er: Es gibt Tänze, die liegen nicht jedem.

Sie:                                                                            Ausflüchte! Faulheit!                        

Er (für sich): Noch eine Dreiviertelstunde – und Licht am Ende des Tunnels… 

Tanzlehrer: Alle Herren kurz hinter mich. Und – slow, quickquick slow, so

finden wir leicht hinein in den Quick-Step, wir laufen und zählen.

Achtung, jetzt mit Musik. Und mit Tempo, ich bitte um Tempo.

Sie: Alle schweben vorüber. Nur wir, wir kleben am Boden,

wie die Fliegen auf Leimpapier, ich möcht’ uns nicht zusehn.

Er: Ruhe, verdammt! Ich brauche jetzt Ruhe! Sonst kann ich nicht tanzen,

aus dem Rhythmus bringt mich allein dein Nörgeln. Nur einmal

deinen Schnabel gehalten, und gleich wird ein Wunder geschehen.

Sie: Unsinn! Größer werden, nicht so geduckt. Viel mehr Haltung!

Wo bleibt die Führung? Und auf und ab, in Wellenbewegung.

Ja, es wird, es macht sich ja, ansatzweise zumindest.

Tanzlehrer: Jetzt das Pendel: lang, lang, kurz, kurz, lang, wir zeigen es langsam.

Er: Wer denkt sich so was aus? Es gibt Figuren, wo Menschen,

ihrer Würde beraubt, zu Hampelmännern mutieren.

Sie: Dein Kommentar ist absurd. Man tanzt die Figuren in London,

in Paris, New York und Athen. Das ist weltweiter Standard.

Tanzlehrer: Und noch einmal für alle: der Lockstep, wir gehn in den Kreisel,

dann nach hinten: pendeln, Schuhspitzen klopfen den Boden,

Pepper-Pops, ab durch die Mitte mit raumausgreifenden Schritten.

Nun sind Sie an der Reihe, und nutzen Sie wirklich den Platz aus!

Sie: Achtung, schon rollt die Walze heran. Wir müssen uns sputen,

Boden gewinnen, lauf schneller, mach größere Schritte, noch größer.

Er: Sind sie schon hinter uns?

Sie:                                                     Sie drücken.

Er:                                                                             Wir schaffen’s – : gerettet!

Hei, war das knapp.

Sie:                               Wie du schwitzt! Hier, nimm das Schneuztuch. Nein, nicht doch

quer durch die Haare! Diskret! Dreh dich unauffällig nach hinten!

Was denn sollen die anderen denken, die weniger schwitzen?

Tanzlehrer: Endlich wird es gemütlich: die Rumba. Da heißt es vor allem:

Schmachtend schaun auf den Partner! Und Ballenschritte! Die Rumba

zelebrieren, den Tanz der Liebe, des ewigen Werbens.

Wie sich das sucht, sich flieht, sich sträubt, sich wieder zu finden…

Er (für sich): Sträuben und fliehen, wohl wahr! Der Mensch hat helle Momente.

Tanzlehrer: Das ist das schöne beim Tanzen. Es ist die letzte Domäne,

wo noch der Mann bestimmt, wo sein Wille Maß und Gesetz ist.

Sie: Hörst du…

Er:                  Welche Verhöhnung des redlich ackernden Tanzbärn…

Sie: Warum stehst du auch wieder so schief? Wo sind Haltung und Rahmen?

A und O jedes Tänzers ist Körperspannung.

Er:                                                                            Ich müh mich,

nicht als Automat, als Mensch – mit menschlichen Schwächen.

Sie: Au – charmant deine Schwächen! Voll auf den Fuß! Meine Strümpfe

sind, wie in jeder Stunde zuvor noch, völlig zerrissen.

Tanzlehrer: Jetzt die Curl-Figur.

Sie:                                                     Ich wart auf den Einsatz! Wann kommt er?

Wie soll ich wissen, wann laufen, wenn du mir kein deutliches Zeichen

gibst und ganz außer Takt bist. Du trippelst, willst es kaschieren.

Es hilft alles nichts mehr, ich werd’ jetzt den Tanzlehrer fragen.

Er: Untersteh dich.

Sie:                                         Ich werde.

Er:                                                                 Erbarmungslos ist das Schicksal…

Sie (laut): Können Sie meinem Mann nicht mal zeigen, richtig zu führen?

Er (für sich): Bingo, das war’s! Ich hab’s geahnt, dass es einmal dahin kommt.

Na, ihr Affen ringsum – das ist Gratis-Gaudi vom Feinsten!

Tanzlehrer: Gnädigste, Tanz-Pädagogik kennt da noch andere Mittel:

Damenwechsel zum Beispiel! Ein jeder Herr geht zur nächsten

Dame – von jeher das beste Rezept, das Führen zu üben.

Und am besten eignet sich dazu der langsame Walzer.

Er (für sich): Allen Respekt! Das Männchen hat Klasse!   

Sie:                                                                                        Aber warum nur

landest du ausgerechnet bei dieser schrecklichen Schnepfe?

Er: Wer das Schicksal fordert wie du, darf später nicht jammern.   

Tanzlehrer: Frank Sinatra: „My Way“: der Walzer zum Abschluss, und los geht’s.

Neue Sie: Guten Abend, ich bin die Luise.

Er:                                                                 Und ich bin der Tanzbär.       

Neue Sie:

Lustiger Name. Vorname?

Er:                                                     Walter.

Neue Sie:                                                                  Der Tanzbär heißt Walter!

Mit ihrer Frau, da haben Sie aber keine Probleme?

Er: Nein doch, nicht dass ich wüsste. Doch sehn Sie, die Tanzfläche macht mich

immer mal wieder zum Tier. Ich werde zum Bären, zum Tiger

oder zum Löwen, zuweilen zum Affen, letzteres selten.

Neue Sie: Sie sind ja richtig charmant, in Wahrheit sind Sie ein Schlimmer!

Er: Schlimm sind die vielen Figuren. Die müssen wir zwingen, Luise!

Achtung: „the end is near” – „the final curtain“ – jetzt Drehung.

Sauber geschafft, Luise, es läuft, es läuft gar nicht übel.

Neue Sie: Sie sind ja gut in Englisch – und singen noch, Bravo!

Er:                                                                                                     In Maßen!

Neue Sie: So charmant, so bescheiden, so – lieb!

Er:                                                                             I did it my way, Luise.

Neue Sie: Walter, mein Tanzbär. Ich danke. Und denke über die Männer

irgendwie anders jetzt. Schnell noch: Machen Sie weiter?

Er:                                                                                         Natürlich.

Tanzlehrer:

Das war der letzte Tanz dieses Kurses. So schließt sich der Bogen,

wir – Janine und ich – wir haben ganz herzlich zu danken.

Aber – keine betrübten Gesichter! – es gibt eine Lösung:

Nach dem Tanzkurs ist vor dem Tanzkurs, uns Männern, uns ist ja

dieses Prinzip vom Fußball seit langem bekannt, und so bitte

ich doch, sich anzumelden. Beginn des Kurses ist Sonntag.

Er (laut): Wir sind natürlich dabei; wir wollen ja einiges lernen.

Sie (für sich): Dieser Mann ist mein Grab, mein zwanzigjahrlanges Trauma.