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Erläuterung der Kategorien

Historische Werbung und Propaganda (inklusive der sogenannten PR (=Public Relations) oder Öffentlichkeitsarbeit) fasziniert mich seit Mitte der 80er Jahre in ihrer Qualität als veritabler, aber bis heute viel zu sehr vernachlässigter Spiegel der Zeitgeschichte. Doch sehr schnell musste ich feststellen, welche Schwierigkeiten es bereitete, diese Quellen zu erschließen und sie für die Geschichtsschreibung fruchtbar zu machen. Auch wenn sich die Situation in den letzten 30 Jahren deutlich gebessert hat, so gelten solche Quellen gemeinhin noch immer als nicht sammelnswert. Noch immer wird man keine Universitätsbibliothek finden, die einem dabei helfen kann, z.B. eine bestimmte UHU-Anzeige von 1955 ausfindig zu machen.

Also besuchte ich schon in den frühen neunziger Jahren ältere Werbefachleute und übernahm ihre Unterlagen, baute eigene Sammlungen an Anzeigen, Prospekten, Werbemitteln auf – immer mit dem Ziel darüber zu schreiben, diese Quellen für die Erforschung der Zeitgeschichte zu nutzen. Alle Beiträge, die Sie in dieser Abteilung vorfinden, sind letztlich vor diesem Hintergrund entstanden. Als besondere Herausforderung empfand ich bei diesem Thema stets die Tatsache, dass eine kleine Elite stellvertretend für die Masse spricht (oder dies vorgibt). Wer sich mit historischer Werbung und Propaganda befasst, muss also zwangsläufig immer viele Sorten von Geschichtsschreibung zusammenführen: Kunst- und Kulturgeschichte, Kommunikationswissenschaften, Geschichte der Werbekritik, Mentalitätsgeschichtsschreibung und vieles anderes mehr…

Noch immer erliegt die Kulturgeschichte häufig der Versuchung eine Aufteilung der Welt in „bedeutend“ und „unbedeutend“ vorzunehmen. Das liegt vermutlich daran, dass sie selbst als humane Selbstvergewisserungswissenschaft zutiefst bildungsbürgerlichen Traditionen verhaftet ist und noch heute in dieser Funktion recht gut funktioniert (ohne dass dies offen ausgesprochen wird). Dabei kann aber, was die die kleinen und banalen Dinge des Alltags zu erzählen haben, nicht nur sehr viel spannender, sondern auch erkenntnisfördernder sein als der angestrengte Blick auf die als kanonisch geltenden Werke der Hochkultur. Um das Renommee einer Kulturgeschichte der Renaissance-Architektur muss sich niemand sorgen. Eine historisch-semiotische Analyse z.B. des Modellautomarktes der Baugröße H0 hingegen erweckt bei so manchem noch immer mitleidiges Lächeln oder gar Kopfschütteln, gleiches gilt etwa für Seriennotgeldscheine oder das in der Schweiz so beliebte Sammeln von Kaffeerahmdeckeli. Eben das erscheint aus meiner Sicht nicht angebracht. Abseits des Mainstreams bildungsbürgerlicher Kulturgeschichtsschreibung gibt es so viele noch unentdeckte dingliche Herausforderungen, deren Analyse schon deswegen verheißungsvoll erscheint, weil sie noch den Atem des menschlichen Umgangs und Gebrauchs an sich tragen – und schon deshalb besonders tief in die conditio humana hineinreichen.

Es ist höchste Zeit, dass die Kulturgeschichte das Spektrum ihrer Themen ausweitet, das Arsenal ihrer Methoden aufrüstet. Das heißt, ihr neben Augen und Ohren auch alle anderen Sinne zu öffnen. Die in den letzten Jahren in dieser Hinsicht vielerorts sichtbaren erfreulichen Ansätze bestärken mich, auf diesem Wege weiterzuarbeiten und das eine oder andere zu einer universellen Kulturgeschichte des Alltags beizutragen. Ihrer Bilderwelt widmen sich denn auch die hier versammelten Beiträge dieser Kategorie, sei es um eine Märchenfigur zum Sprechen zu bringen, die in deformierter Gestalt in der Werbung weiterlebt oder sei es die Analyse der Anstrengungen, die ein ehemaliger Bankräuber macht, um über lange Zeiträume für die Medien interessant zu bleiben.

Obwohl es sich bei den beiden großen Themenkomplexen (Chronik der Volksbank Freiburg sowie Kaiserstuhl, Geschichte des Waisenhauses in Freiburg Günterstal) um Auftragsarbeiten handelte, gelten beide Projekte inzwischen als exemplarische Arbeiten zur Freiburger Stadtgeschichte. Dass diese Qualität erreicht werden konnte, ist zu erheblichen Teilen den jeweiligen Initiatoren zu danken, welche die gewissenhafte historische Aufarbeitung der Institution, welcher sie vorstanden, uneingeschränkt förderten: Dr. Franz G. Leitner in seiner Funktion als damaliger Vorstandsvorsitzender der Volksbank Freiburg und Lothar Böhler als ehemaliger Direktor der Stiftungsverwaltung Freiburg.

Nur unter solchen Voraussetzungen kann historische Aufarbeitung gelingen, die jenseits aller Lobschreiberei auf einem ethischen Fundament beruht, das zu allererst der Suche nach der Wahrheit verpflichtet ist. Dass dabei, wie etwa im Fall der Volksbank Freiburg, nicht nur rühmliche Fakten ans Tageslicht gelangen würden – wie etwa die Ausschließung von 14 jüdischen Geschäftsleuten („ein Jude kann kein Genosse sein!“) während der NS-Zeit – war von vorn herein abzusehen, wurde aber in keiner Weise hintangesetzt oder kleingeredet. Gleiches gilt für die Darstellung der teilweise erschreckenden Zustände im städtischen Waisenhaus, in welchem die Betreuung der Kinder und Jugendlichen zwischen 1894 und 1975 Vinzentinerinnen-Ordensschwestern oblag. Was die Betroffenen in diesem Heim seinerzeit an Demütigungen, Repressionen, körperlicher und psychischer Gewalt bis hin zu sexuellem Missbrauch erfahren mussten, breiten die beiden Bände „Das wirst du nicht los, das verfolgt Dich ein Leben lang!“ sowie „Wir waren nur verhandelbare Masse!“ auf insgesamt 580 Seiten detailliert aus.

Seit ich kurz vor dem Abitur 1971 mein erstes Drama „Die Wiederkäuer“ schrieb, habe ich literarische Ausdrucksformen gesucht. Schon im Titel dieses kleinen Stücks, in welchem die Figur des Schülers als wiederkäuender Zwangslernautomat karikiert wird, klang eins der Themen, die mich bis heute umtreiben, an: die Auseinandersetzung mit der kulturellen Tradition. Als Germanist, Philosoph und Historiker lernte ich während meines Studiums natürlich dann bald auch, die mich bewegenden Themen und Gegenstände mit der gebotenen Nüchternheit und Distanz – eben „wissenschaftlich“ – zu betrachten. Geblieben ist seither das zweigleisige Schreiben, sowohl in „schönen“ wie auch in reflektiert-nüchternen Buchstaben. Dennoch hat mich das Auseinanderfallen der Weltwahrnehmung als Wissenschaft oder (getrennt davon) Kunst/Literatur oder – auf der Ebene des Schreibens – vermittelt durch sogenannte Sachtexte oder (getrennt davon) Belletristik nie restlos überzeugt.   

Was mich bis heute anspornt, ist die Idee, fiktionale und non-fiktionale Texte endlich wieder zusammenzuführen um z.B. von einem erarbeiteten Wissensfundus ausgehend wieder in die Literaturproduktion einzutreten wie beispielsweise in meinem Text „Schöpfungsmythos und Goldenes Zeitalter. Unsere Nachkriegsgeschichte als Heldenepos“. Dieses Gedicht kontrastiert einen fiktionalen Obertext (in Hexametern) mit einem erklärenden „wissenschaftlichen“ Untertext und führt beide Qualitäten auf eine neue und ungewohnte Art zusammen. Oder ich erarbeite mir das rhetorisches Handwerkzeug der Barocklyrik, um es in einem „modernen“ Gedicht wieder zu Literatur zu machen. Hier als Beispiel mein Frühlingsblütenverhütengedicht.